Living Moments - N°4 Edition 2017
55 www.private-residences.net 7TaTYR 8ZXPY_^ Lieber Herr Dr. Reisch, Ihre werte Frau und Sie selbst gehören zu den wenigen echten Zeitzeugen der einzigartigen Entwicklung Kitzbühels über Jahr- zehnte hinweg und haben Geschichte und Moderne wie kaum jemand in der Stadt persönlich miterlebt und maß- geblich geprägt. Ihre Familie hat dabei seit Generationen eine ganz besonde- re Rolle gespielt, vor allem für das weltweit bekannte Aushängeschild, das berühmte Abfahrtsrennen auf der Streif. Können Sie unseren Lesern aus Ihrem Blickwinkel und Ihren Erinne- rungen nochmals schildern, wie dieser heutige Mythos damals begann und sich im Laufe der Jahre und Traditionen entwickelt und verändert hat? Zwischen den beiden großen Kriegen geboren, habe ich aus viel Schriftgut, insbesondere aber aus den persönli- chen Erinnerungen meiner Eltern und der vielen noch lebenden Zeugen die Geschichte seit der Jahrhundertwende mit eigenen Beobachtungen nahezu miterlebt. Kitzbühel war eine friedliche Stadt, in vielen Jahrzehnten Eroberungen und Verwüstungen entgangen. Der Wohl- haben zeigende, geschlossene, gefällige und beindruckende Stand der Gebäude geriet in eine zunehmende Verarmung durch das Versiegen der Bodenschätze und zeigte beginnenden Verfall. Mein Großvater, Franz Reisch, war in Kufstein geboren, in einer Stadt, die durch ihre bestimmende geographi- sche Lage zwischen Bayern und Tirol einen anderen Weg sah. Dort blühte der Handel und die Stadt entsprach diesemBild. Ein Bruder meines Großva- ters betrieb in Kitzbühel eine Lebzelterei und Wachszieherei, verstarb unverhei- ratet und kinderlos. Die früh verwitwe- te Mutter beherrschte ihre Kinder und das Unternehmen in Kufstein und ord- nete den bereits abgefunden Großvater an, das Geschäft in Kitzbühel zu über- nehmen. Seine Erfahrung in der Welt bis Amerika waren sein Ansporn, die verloren gegangene Bedeutung Kitz- bühels zu beleben. Er erwarb den das Schicksal Kitzbühels teilende, hochver- schuldete Hinterbräu mit Gasthaus, Brauerei und Landwirtschaft, erweiter- Fortsetzung Continues te das übernommene Geschäft seines Bruders zum Hotel Reisch, errichtete das Sporthotel, erwarb den größten Teil des Kitzbüheler Horns, errichtete das dortige Gipfelhaus ebenso wie ein eigenes Elektrowerk, eine Wäscherei, hatte das erste Taxi und das erste Kino, schuf Spazierwege, gab den Anstoß zur Errichtung des Grand Hotels, das spätere Hotel Reischhof. Damit begann der Sommerfremdenverkehr zu blühen und der Ansatz für den später tragen- den Skisport mit der maßgeblich be- triebenen Gründung des Kitzbüheler Ski Clubs lief an. Kitzbühel wurde mit diesen Meilensteinen seinem Namen gleichgesetzt, sein Bild wurde zur Le- gende. Der Erste Weltkrieg beendete diese Entwicklung und verdunkelte das Er- reichte. Der frühe Tod meines Großva- ters im Jahre 1920 zwang die vielfach noch minderjährigen Kinder, die gera- de erwachsenen Söhne Ernst und Her- mann Reisch, mein Vater, des Vaters Werk fortzusetzen. Es gelang ihnen auch durch viele Verbesserungen der Infrastruktur, wie etwa das Tanzlokal Casino, heute Tenne, Erstellung ei- nes Tennisplatzes und eine Reihe von Garagen sowie den Erwerb des Eckhauses in der Vorderstadt, heute Eigentum Franz Beckenbauer, dasWerk des Vaters fortzusetzen. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 setz- te auch hier der Entwicklung ein Ende, aber nicht dem Ruf Franz Reischs und seiner Kinder. In der Mitte der Dreißi- gerjahre konnten die gesetzten Früchte durch einen aufblühenden Fremden- verkehr, vor allem aus England, ge- erntet werden. Dem setzte der Zweite Weltkrieg ein Ende. Nach dessen Ende zeigte sich die Kraft der Familie unge- brochen. Mein Vater eröffnete mit Hilfe meiner Mutter als erstes der Hotels den Reischhof wieder. Walter Reisch schuf eine das Kitzbüheler Horn auch im Sommer erschließende Infrastruktur, Guido Reisch schuf den touristischen Mittelpunkt der Tenne und überall wurde verbessert, erhalten, erweitert. Es war damit eine Familie, die in zwei Generationen für Kitzbühel tragende Grundlagen für den Erfolg der Stadt setzte. Über diese über Jahrzehnte ohne vergleichbares Beispiel geschaf- fenen Grundlagen für das heutige Kitz- bühel entstand der von uns gar nicht angestrebte Mythos der Familie. Im Zusammenhang mit der so auf- wendigen jährlichen Austragung des weltweit berühmten Hahnenkamm- Rennens spielen Sie als »Hausherr« der Streif eine ganz wesentliche und ein- flussreiche Rolle. Die wunderschönen Ländereien und Grundstücke, auf denen seit Jahren das Spektakel der jährlichen Streif-Abfahrt im Zielhang ausgetragen wird, befinden sich genauso im Besitz Ihrer Familie wie das bekannte und sehr beliebte Hotel Rasmushof. Inwieweit sind Sie heute noch persön- lich involviert in die Planung, Organi- sation und Ausführung des jährlichen Hahnenkamm-Rennens undworauf be- zieht sich Ihre Arbeit in diesemBereich? Das Zielgelände des Hahnenkamm- Rennens ist über die Kette meines Großvaters und Vaters mein Eigentum geworden. Das Rennen selbst entwickel- te sich nach dem Krieg sehr rasch zu etwas Besonderem und war dank des damaligen Präsidenten des Kitzbüheler Ski Clubs, Kurt Beranek, bald ein Ge- genstand der Fernsehberichterstattung. Der sportliche Ablauf war stets hervor- ragend. Der äußere Rahmen hingegen war nicht imGeringsten entsprechend. Fahrzeug jeglicher Art verwendeten das Zielgelände und einiges meines Ei- gentums darüber hinaus für das Ab- stellen von Fahrzeugen. Eine zügellose Werbung in jeglicher Form und für die eigenartigsten Gegenstände, ein- schließlich Alkohol kam hinzu. Es gab keine Möglichkeit der Versorgung der Zuschauer, in welchen Bereichen auch immer, einschließlich der Toiletten, sodass die Ordnung im Bereiche der Zuschauer entglitt. Den sportlichen Teil des Hahnenkamm- Rennens habe ich nie berührt. Hin- gegen habe ich, sei es aus eigenen, sei es durch entsprechende Anordnun-
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